Abstracts Panel VI

Samstag, 16.06.2018, 11.40-12.15 Uhr

 

Gesellschaftstheorie

Anders Stig Christensen, Ph.D. (University College Lillebælt)
Rationality and emotionality in social science education – a challenge for a democratic education

In a number of student presentations of project works in an 8th grade class in a Danish folkeskole , that I analyzed as part of my ph.d.-project, the students emphasize to make their audience (their classmates) think and feel about the issues that they are presenting about. The focus on emotionality is probably not coincidental, given the fact that contemporary societies characterized by the rise of social media and populist rhetoric seem to give more room for emotive communication. The question is what this means for the development of the democracy and for civic education?
In the German tradition of politische Bildung as well as in Nordic countries the ideal of political Mündigkeit (maturity), inspired by Immanuel Kant, is prevalent. This entails a focus on rationality: the individual is supposed to take a rational, and enlightened, stand on political issues. This is also in line with the ideals of democracy proposed by John Rawls and Jürgen Habermas.
Nevertheless, if we look at the process of political decision-making and of political engagement (perhaps especially among youth), emotions play a crucial role. In political psychology and cognitive science scholars have shown how emotion and rationality are connected and not necessarily opposed in political decision-making (Lakoff, 2008; Marcus, 2013) From a philosophical perspective Martha Nussbaum has argued for the importance of “cultivating” political emotions (Nussbaum, 2013). In politische Bildung there also seem to be a renewed interest for discussing the interconnection between rationality and emotionality (Breit, 2016; Weber, 2016) These perspectives provide a challenge, and an opportunity to rethink the connection between rationality and emotionality as well as the role of rationality and emotions in political/citizenship education. In this paper, I discuss the implications of the perspectives of political psychology and the theory of political emotions from Martha Nussbaum for political and citizenship education in light of my empirical findings.

Literatur:

  • Breit, G. (2016): Mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich. Zum Spannungsverhältnis in Rationalität und Emotionalität im Politikunterricht. Schwalbach/Ts.
  • Lakoff, G. (2008): The political mind: Why you can't understand 21st-century politics with an 18th-century brain. New York.
  • Marcus, G. E. (2013): The Theory of Affective Intelligence and Liberal Politics. In: Demertzis, N. (Hrsg.): Emotions in Politics: The Affect Dimension in Political Tension. London.
  • Nussbaum, M. C. (2013): Political emotions: Why love matters for justice. Massachusetts.
  • Weber, F. (2016): Emotion und Kognition in der politischen Bildung. In: Deichmann, C. / May, M. (Hrsg.): Politikunterricht verstehen und gestalten. Wiesbaden.

 

Weitere Forschung

Jan Markus Stegkemper (Uni Koblenz-Landau)
„Die Präsidentin von Deutschland hat noch drei Jahre Vertrag.“ – Wahrnehmungen einer politischen Welt von Schülerinnen und Schülern mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung

Die UN-Behindertenrechtskonvention verlangt einen Wandel hin zu einer inklusiven Gesellschaft und schreibt fest, dass politische Teilhabe Menschen mit Behinderung gleichberechtigt zukommt. Spätestens damit gilt es auch Menschen mit geistiger Behinderung auf das Wahrnehmen ihrer politischen Rechte vorzubereiten. Doch bislang ist noch weitgehend unklar, an welchen Anknüpfungspunkten sich politische Bildungsangebote für Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung orientieren sollen. Unter anderem fehlt Wissen dazu, inwiefern Schülerinnen und Schüler mit geistiger Behinderung eine politische Welt wahrnehmen und welche subjektiven Wissenskonstrukte sie sich zu einer solchen aufbauen.
Im Rahmen meines Promotionsvorhabens gehe ich diesen Fragen in einer explorativen, qualitativen Studie nach. Das zugrundeliegende Wissensverständnis ist dabei ein radikal-konstruktivistisches; d.h. Wissen wird als ein Produkt selbstreferenzieller Bedeutungszuschreibungen begriffen und davon ausgegangen, dass Menschen vor dem Hintergrund subjektiv viabler Wissenskonstrukte handeln (vgl. von Glasersfeld, 2015).
Die Daten wurden in Interviews mit Schülerinnen und Schülern mit geistiger Behinderung gewonnen, die anhand eines eigens entwickelten ‚Gesprächskoffers‘ geführt wurden (vgl. dazu Stegkemper, 2016). Das Sampling, die Datengewinnung und -auswertung orientieren sich am Vorgehen der konstruktivistischen Grounded Theory (Charmaz, 2014).
Im Rahmen des Vortrags werden zentrale Ergebnisse der Untersuchung vorgestellt und ausgewählte Konstrukte besprochen. Dabei wird gezeigt, dass Schülerinnen und Schüler mit geistiger Behinderung über differenziert zu beschreibendes politisches Wissen verfügen und wie sie aufgebautes Wissen bei der Wahrnehmung einer politischen Welt nutzen.

Literatur:

  • Charmaz, K. (2014): Constructing Grounded Theory. 2. Aufl. Los Angeles.
  • Stegkemper, J. M. (2016): Das politische Wissen von Schülerinnen und Schülern mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. In: Goll, T./Oberle, M. / Rappenglück, S. (Hrsg.): Herausforderung Migration. Perspektiven der politischen Bildung. Schwalbach/Ts., 175.
  • von Glasersfeld, E. (2015): Radikaler Konstruktivismus. Ideen, Ergebnisse, Probleme. 8. Aufl. Frankfurt am Main.

 

Weitere Forschung

Marcel Grieger (Uni Göttingen)
Fachdidaktische Selbstwirksamkeitserwartungen angehender Lehrkräfte zum Unterrichten von Gesellschaftslehre – Design und Vorstudienergebnisse

Selbstwirksamkeitserwartungen (SWE) (Bandura, 1977) bezeichnen die Fähigkeit „neue oder schwierige Anforderungssituationen auf Grund eigener Kompetenz bewältigen zu können“ (Schwarzer & Jerusalem, 2002, 32). Für Lehrkräfte sind sie ein wichtiger Bestandteil professioneller Handlungskompetenz (Baumert & Kunter, 2006).
Fächerübergreifendes Unterrichten stellt Lehrkräfte vor besondere fachdidaktische und fachliche Herausforderungen. Für das Verbundfach Gesellschaftslehre an niedersächsischen IGS gilt dies umso mehr. Die Fächer Politik/Wirtschaft, Geschichte und Geographie können in der Regel nicht zusammen studiert werden. Ein Großteil des Unterrichts erfolgt fachfremd. Ob angehende Lehrkräfte unter diesen Bedingungen starke SWE ausbilden können, ist unbekannt.
Ziel der Studie ist die Entwicklung eines entsprechenden Messinstruments. Dazu wurde ein Mixed-Methods-Ansatz (Kuckartz, 2014) mit lautem Denken, Expertenbefragung und Prätest gewählt. Der Vortrag stellt die Ergebnisse dieser drei Vorstudien vor. Nach dem Optimieren des Fragebogens durch Lehramts-Studierende wurden Items zum subjektiven Fachwissen in Gesellschaftslehre durch erfahrene Lehrkräfte validiert. Es zeigt sich, dass die Faktorenstruktur das zugrundeliegende fachdidaktische Modell (Park & Chen, 2012) zufriedenstellend abbildet. Die SWE der angehenden Lehrkräfte sind generell eher stark ausgeprägt – bei Referendar*innen am höchsten, bei Bachelor-Studierenden am niedrigsten. Wie erwartet korrelieren die Studienfächer mit dem Fachwissen. Geschlechterunterschiede zeigen sich beim Fachwissen zu Gunsten der Männer, bei der fachdidaktischen Kompetenz zu Gunsten der Frauen.
Das Promotionsvorhaben wird im Rahmen der gemeinsamen „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ von Bund und Ländern aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert.

Literatur:

  • Bandura, A. (1977): Self-Efficacy: Toward a Unifying Theory of Behavioral Change. Psychological Review. 84 (2), 191–215.
  • Baumert, J. / Kunter, M. (2006): Stichwort: Professionelle Kompetenz von Lehrkräften. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft. 9 (4), 469–520.
  • Kuckartz, U. (2014): Mixed Methods: Methodologie, Forschungsdesigns und Analyseverfahren. Wiesbaden.
  • Park, S. / Chen, Y.-C. (2012): Mapping Out the Integration of the Components of Pedagogical Content Knowledge (PCK): Examples from High School Biology Classrooms. In: Journal of Research in Science Teaching. 49 (7), 922–941.
  • Schwarzer, R. / Jerusalem, M. (2002): Das Konzept der Selbstwirksamkeit. In: Jerusalem, M. / Hopf, D. (Hrsg.): Zeitschrift für Pädagogik. Beiheft 44. Weinheim, 28-53.

 

Praxis

Prof. Dr. Matthias Busch (Uni Trier)
Prof. Dr. Leif Mönter (Uni Trier)
Integrationsfach „Gesellschaftslehre“ zwischen transdisziplinärer Welterschließung und Deprofessionalisierung?

Die Unterrichtsfächer Erdkunde, Geschichte und Sozialkunde werden aktuell in einigen Bundesländern in einem gemeinsamen „Integrationsfach“ unterrichtet. Auf der einen Seite steht das Anliegen, hierdurch vernetztes Denken und eine „ganzheitliche“ Weltwahrnehmung zu schulen, mit deren Hilfe sich komplexe Probleme der Gegenwart erst adäquat erschließen lassen. Dem gegenüber steht die Warnung vor einer Auflösung fachspezifischer Zugänge, Methoden und Erkenntnisabsichten, mithin vor Deprofessionalisierung und Rückfall auf vorwissenschaftliche Standards in der Unterrichtspraxis. Tatsächlich gehen mit dem Ziel, politische, räumliche, zeitliche, soziale und ökonomische Perspektiven gleichberechtigt zusammenzuführen und in der Auseinandersetzung mit komplexen gesellschaftlichen Herausforderungen fachdisziplinäre Aspekte methodisch wie inhaltlich zu vernetzen sowie perspektivische Interdependenzen sichtbar zu machen, erhebliche Anforderungen an die Professionalisierung in allen Phasen der Lehrerbildung und an die schulinterne Unterrichtsentwicklung einher.
Im Rahmen des Workshops werden erste Ergebnisse eines Forschungsprojekts vorgestellt, das die Erfahrungen, Chancen und Herausforderungen mit dem neuen Integrationsfach in Rheinland-Pfalz erhebt und daraus Hinweise für die Lehrer*innenbildung und Unterrichtsgestaltung der Gesellschaftslehre zu gewinnen sucht. Hierzu werden in einem triangulativen Forschungsdesign die Perspektiven der am Unterricht Beteiligten (Lehrer*innen, Schüler*innen), vorhandene Unterrichtsmaterialien, Bildungsvorgaben und didaktische Konzeptionen sowie die Strategien und Ergebnisse schulinterner Unterrichtsentwicklung im Fach Gesellschaftslehre analysiert.

Literatur:

  • Pandel, H.-J. (2001): Fachübergreifendes Lernen - Artefakt oder Notwendigkeit? Abrufbar unter: http://www.sowi-onlinejournal.de/2001-1/pandel.htm.
  • Sauer, M. / Bühl-Gramer, C. / John, A. / Schwabe, A. / Kenkmann, A. / Kuchler, C. (Hrsg.) (2016): Geschichte im interdisziplinären Diskurs. Grenzziehungen – Grenzüberschreitungen – Grenzverschiebungen. Göttingen.
  • Weißeno, G. / Nickolaus, R. / Oberle, M. / Seeber, S. (Hrsg.) (2018): Gesellschaftswissenschaftliche Fachdidaktiken. Theorien, empirische Fundierungen und Perspektiven. Wiesbaden.